Der Sachverhalt
Das OLG Oldenburg musste sich kürzlich mit einem nicht ganz alltäglichen Sachverhalt auseinandersetzen: Der Erblasser war in einer Beziehung mit seinem Lebensgefährten, eine Ehe, bzw. eine eingetragene Lebenspartnerschaft bestand zwischen beiden jedoch nicht. Im Jahr 2005 hat der Erblasser ein Testament errichtet, wonach seine Tochter und sein Lebensgefährte jeweils zur Hälfte als Erben eingesetzt worden sind.
Etliche Jahre später erkrankte der Erblasser an Demenz und musste sodann im Jahr 2016 aufgrund seiner weit fortgeschrittenen Erkrankung stationär behandelt werden. Der Lebensgefährte besuchte ihn weiterhin wöchentlich.
Im Jahr 2020 heiratete der Lebensgefährte des Erblassers einen neuen Partner. Etwa ein halbes Jahr später verstarb der Erblasser.
Anfechtung des Testaments
Die Tochter des Erblassers erklärte nach dem Erbfall die Anfechtung des Testamentes.
Ein Testament kann aus verschiedenen Gründen nach dem Tode des Erblassers durch die Hinterbliebenen angefochten werden. Einer dieser Gründe besteht gemäß § 2078 Abs. 2 BGB, wenn der Erblasser einem Motivirrtum unterlag.
Was ist ein solcher Motivirrtum? Ein solcher liegt vor, wenn der Erblasser bei Errichtung des Testaments angenommen oder erwartet hat, dass bestimmte Umstände noch eintreten oder gerade nicht eintreten. Diese Annahme oder Erwartung muss jedoch falsch, eben irrig, gewesen sein. Der Irrtum kann sich dabei sowohl auf Umstände beziehen, die vor der Testamentserrichtung lagen, die gegenwärtig sind oder die erst zukünftig eintreten. Das bedeutet, dass der Erblasser bei der Errichtung des Testaments von einem anderen Sachverhalt ausgegangen ist, als tatsächlich vorlag. Hätte der Erblasser diesen Irrtum erkrannt, dann hätte er auf diesen anderen Sachverhalt reagiert und anders testiert.
Die Feststellung eines solchen Motivirrtums gestaltet sich kompliziert: Zunächst muss bewiesen werden, dass der Erblasser einem Irrtum unterlag. Sodann muss dargelegt werden, dass der Erblasser ohne diesen Irrtum ein anderes Testament errichtet hätte. Da der Erblasser – das liegt leider in der Natur der Sache – nicht mehr gefragt werden kann, welchen Einfluss sein Irrtum gehabt hat, muss auf den hypothetischen Willen des Erblassers abgestellt werden.
Ein typisches Beispiel für einen solchen Motivirrtum ist das Scheitern einer Lebensgemeinschaft. Während bei einem Scheitern der Ehe kraft Gesetzes vermutet wird, dass die Erbeinsetzung nicht mehr gültig sein soll, fehlt es an einer solchen Regelung für nichteheliche Lebensgemeinschaften. Der allgemeine Erfahrungssatz geht aber dahin, dass nach einer Beendigung der Beziehung eine Erbeinsetzung des Ex-Partners nicht mehr gewünscht ist. Ein zur Anfechtung berechtigender Motivirrtum liegt damit regelmäßig vor.
Die Gerichtsentscheidung
Wie verhält es sich also in dem Fall, über den das OLG Oldenburg zu entscheiden hatte? Der erste Gedanke könnte sein, dass hier eben dieser vorbeschriebene typische Fall vorliegt: Der Lebensgefährte des Erblassers hat zu dessen Lebzeiten eine dritte Person geheiratet. Hätte der Erblasser das gewusst, dann hätte er die Erbeinsetzung nicht aufrecht erhalten. So argumentierte auch die Tochter des Erblassers: In gesunden Zeiten hätte ihr Vater es nicht akzeptiert, wenn sich sein Partner einer anderen Person zuwendet und diese schlussendlich sogar ehelicht.
Dieser Ansicht stimmte das Gericht vollumfänglich zu. Trotzdem lehnten die Richter eine Anfechtung wegen eines Motivirrtums ab. Warum? Für das Gericht hat ein Aspekt des Falles den entschiedenen Unterschied gemacht: Die Beziehung zwischen dem Erblasser und seinem Lebensgefährten bestand bis zu dessen Erkrankung fort. Die Beendigung der Beziehung beruhte nicht auf dem Willen oder einem Entschluss einer der beiden Partner. Die Beziehung scheiterte nicht daran, dass die Partner sich etwa auseinandergelebt hätten oder daran, dass einer der Partner sich einer anderen Person zugewandt hätte. Stattdessen hinderte die fortgeschrittene Demenzerkrankung des Erblassers ihn daran, die Beziehung wie zuvor weiterzuführen. Nicht einer der Partner, sondern die Krankheit beendete die Beziehung faktisch.
Einzelfallentscheidung
In diesem besonders gelagerten Einzelfall, so entschied es das Gericht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Erblasser sein Testament geändert hätte. Dazu musste das Gericht sich die Frage stellen, wie der Erblasser wohl den folgenden Fall beurteilt hätte: Wie hätte der Erblasser testiert, hätte er vorausgesehen, dass er bei bestehender Lebenspartnerschaft an Demenz erkrankt, er infolgedessen stationär untergebracht werden muss, sodass im Ergebnis die bis zur Demenzerkrankung gelebte Partnerschaft in ihrer bisherigen Form faktisch nicht mehr fortgeführt werden kann? Das Gericht war, auch vor dem Hintergrund, dass der Lebensgefährte den Erblasser weiterhin regelmäßig besuchte und sich um ihn kümmerte, überzeugt, dass der Erblasser selbst im Fall der Heirat des Lebensgefährten mit dem neuen Partner wollte, dass sein Lebensgefährte weiterhin hälftig als Erbe eingesetzt wird. Das Testament fand also Anwendung. Der Lebensgefährte wurde Erbe.
Diese Entscheidung gibt Anlass dazu, sich darüber Gedanken zu machen, in welchen Sachverhalten man sein eigenes Vermögen wie vererben möchte. Eine fachkundige Beratung bei der Testamentsgestaltung hilft dabei, ein Testament zu errichten, mit dem auch bei den Unwägbarkeiten des Lebens der Wille des Erblassers möglichst vollumfänglich beachtet wird.
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