Hintergrund des Pflichtteilsergänzungsrechts
Das Pflichtteilsrecht sichert nahen Angehörigen des Erblassers eine Mindestbeteiligung am Nachlass. Pflichtteilsberechtigt sind die Abkömmlinge des Erblassers, sein Ehegatte und – sofern keine Abkömmlinge vorhanden sind – auch die Eltern des Erblassers.
Der Pflichtteil wird anhand des Wertes und des Bestandes des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls berechnet. Findige Erblasser könnten deswegen auf die Idee kommen, den Nachlass möglichst durch lebzeitige Geschenke zu schmälern. Der Anspruch auf Pflichtteilsergänzung soll diese Umgehung verhindern.
Die Berechnung des Anspruchs auf Pflichtteilsergänzung
Zur Veranschaulichung das folgende Beispiel: Die Witwe Susanne hat ein Geldvermögen in Höhe von 150.000,00€. Sie hat zwei Kinder: Die geliebte Tochter Anna und die missliebige Tochter Marie. Susanne möchte, dass Marie möglichst wenig von ihrem Nachlass erhält. Kurz vor ihrem Tod schenkt sie deswegen an Anna einen Betrag in Höhe von 100.000€. In ihrem Testament setzt sie Anna zudem als Alleinerbin ein. Der Erbfall tritt ein und Marie macht ihren Pflichtteilsanspruch geltend. Dieser beträgt die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils, d.h. in dieser Konstellation ¼. Im Nachlass befinden sich noch 50.000€, so dass der ordentliche Pflichtteil 12.500€ beträgt.
Da hört es für Marie aber noch nicht auf. Hinzu kommt noch der Anspruch auf Pflichtteilsergänzung: Dieser bestimmt sich nach dem sogenannten fiktiven Nachlass. Das Geschenk wird dem tatsächlichen Nachlass hinzugerechnet, hier also 50.000€ Nachlass + 100.000€ Geschenk = Fiktiver Nachlass i.H.v. 150.000€. Der Pflichtteil in Höhe von ¼ betrüge sodann 150.000 ./. 4 = 37.500€. Davon abzuziehen ist der ordentliche Pflichtteilsanspruch (37.500 – 12.500), so dass ein Anspruch auf Pflichtteilsergänzung in Höhe von 25.000€ verbleibt.
Marie hat also insgesamt einen Anspruch auf Zahlung ihres Pflichtteils in Höhe von 12.500€ und auf Zahlung der Pflichtteilergänzung in Höhe von 25.000€ gegen Anna.
Voraussetzungen des Anspruchs
Tatbestandlich setzt der Anspruch auf Pflichtteilsergänzung voraus, dass eine Schenkung vorliegt. Eine Schenkung liegt in der juristischen Welt vor, wenn der Beschenkte objektiv aus dem Vermögen des Erblassers bereichert wurde und sich die Beschenkten subjektiv darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt. Übersetzt heißt das: Anna kriegt das Geld von Susannes Konto und die beiden sind sich darüber einig, dass Anna im Gegenzug nichts dafür leisten muss.
Schenkungen können bei uns Juristen auch (teil-)entgeltlich sein. Verpflichtet sich der Beschenkte beispielsweise zur Pflege des Schenkers oder zu einer monatlichen Leibrentenzahlung, entsteht dadurch ein Gegenwert. In Höhe dieses Gegenwertes ist die Schenkung entgeltlich und wird bei der Berechnung des Anspruchs auf Pflichtteilergänzung nicht berücksichtigt.
Anspruchsberechtigt ist jeder, der nicht die volle Höhe seines ordentlichen Pflichtteils aufgrund des Geschenks erhält. Umfasst sind davon durchaus auch Erben. Wäre in unserem Beispiel Marie zu ¼ als Erbin und Anna zu ¾ als Erbin eingesetzt, so hätte Marie einen Erbteil mit einem Wert von 12.500€ bekommen. Ihr steht weiterhin ein Anspruch auf Pflichtteilsergänzung in Höhe von 25.000€ zu.
Abschmelzungsmodell
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch besteht aber nicht für sämtliche Schenkungen des Erblassers. Von vornherein nicht erfasst sind Anstands- und Pflichtteilsschenkungen. Angemessene Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke sind damit vor dem Zugriff der Pflichtteilsberechtigten geschützt. Auch zeitlich gibt es eine Eingrenzung: Zehn Jahre nach dem Zeitpunkt des Schenkungsvollzugs kann der Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht mehr geltend gemacht werden. Zusätzlich werden pro verstrichenem Jahr seit der Schenkung 10% von dem Wert der Schenkung abgeschmolzen. Hätte Susanne Anna das Geld beispielsweise fünf Jahre vor dem Erbfall geschenkt, wäre es nur noch zu 50% im Rahmen der Bestimmung des Anspruchs auf Pflichtteilergänzung zu beachten gewesen.
Wir Juristen machen es aber gerne kompliziert: Die Zehnjahresfrist beginnt in bestimmten Konstellationen noch nicht mit dem rechtlichen Vollzug der Schenkung zu laufen. Weiterhin erforderlich ist nach der anschaulich benannten „Genusstheorie“, dass der Schenker den „Genuss“ an dem verschenkten Gegenstand aufgegeben hat.
Vorsicht bei Immobilienschenkungen
Auch und gerade bei Schenkungen von Immobilien kommt es häufig nicht dazu, dass die Zehnjahresfrist anläuft. Die Immobilie muss nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich an den Beschenkten übergehen. Das ist solange nicht der Fall, wie der Schenker noch „Herr, bzw. Herrin der Immobilie“ ist. Behält der Schenker sich einen Nießbrauch an der gesamten Immobilie vor, so verbleibt er im Genuss der Nutzungen und der Früchte der Immobilie. Der Beschenkte wird nicht „Herr der Immobilie“ … und der Pflichtteilsberechtigte frohlockt!
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