Vielen Testierenden ist bekannt, dass möglicherweise Pflichtteilsansprüche entstehen, wenn sie ihr Kind enterben. Aber auch daneben spielen mögliche Pflichtteilsansprüche bei der Gestaltung des Testaments eine Rolle. Zur Veranschaulichung das folgende Beispiel: Olaf hat aus erster Ehe seine beiden Kinder Marie und Tim. Mittlerweile ist Olaf in zweiter Ehe mit Neele verheiratet. Neele bringt ihre Tochter Lena mit in die Familie. Olaf und Neele errichten ein Berliner Testament: Zunächst beerben die Ehegatten sich gegenseitig und anschließend werden alle drei Kinder zu gleichen Teilen Schlusserben.
Nun kommt es, wie es kommen muss: Olaf verstirbt und Neele wird Alleinerbin. Hier droht schon der erste Stolperstein. Marie und Tim sind schließlich bei Olafs Tod enterbt! Ihnen steht damit ein Pflichtteilsanspruch zu.
Was ist ein Pflichtteil eigentlich?
Der Pflichtteil hat den Zweck, dass bestimmte Personen nicht gänzlich von dem Nachlass ausgeschlossen werden können. Pflichtteilsberechtigt sind die Kinder des Erblassers, der Ehegatte und – wenn keine eigenen Abkömmlinge vorhanden sind – auch die Eltern des Erblassers. Der Pflichtteil entsteht grundsätzlich dann, wenn die pflichtteilsberechtigte Person durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen, also enterbt worden ist. Der Pflichtteil ist ein reiner Zahlungsanspruch. Der Pflichtteilsberechtigte hat also gegen den oder die Erben einen Anspruch auf Auszahlung eines bestimmten Betrages. Wie der Name schon verrät, ist der Pflichtteil verpflichtend und kann nicht testamentarisch abbedungen werden. Es gibt nur enge Ausnahmen, in denen der Pflichtteil entzogen werden kann. Beispielsweise wenn die pflichtteilsberechtigte Person Delikte gegen den Erblasser oder eine dem Erblasser nahestehende Person verübt hat.
Wie hoch ist der Pflichtteil?
Die Höhe des Pflichtteils richtet sich nach der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Das Gesetz sieht vor, wer in welcher Höhe etwas von dem Erblasser erbt, sofern dieser keine letztwillige Verfügung von Todes wegen errichtet hat. Hat der Erblasser einen Ehegatten so erbt dieser grundsätzlich 1/2 des Nachlasses. Das übrige 1/2 wird – je nach Konstellation – von den Kindern oder den Eltern des Erblassers geteilt. Je nach Familienkonstellation ergeben sich unterschiedliche Quoten für die einzelnen erbberechtigten Personen. Und die Hälfte dieser Erbquote ist die Höhe des Pflichtteilsanspruches.
Bei der gesetzlichen Erbfolge wäre Neele also nicht Alleinerbin geworden, sondern nur Miterbin zu ½ Anteil. Marie und Tim wären gesetzliche Erben zu je ¼ geworden. Ihnen steht somit ein Pflichtteil in Höhe von 1/8, also in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils zu. Bei einem Vermögen von 600.000,00€ sind das jeweils 75.000,00€. Gehen wir nun davon aus, dass das Vermögen von Olaf im Wesentlichen aus einer Immobilie und nur wenig Bargeldbestand besteht, so ist Neele gezwungen, Kredite aufzunehmen oder sogar die Immobilie zu verkaufen, um die Pflichtteilsansprüche bedienen zu können.
Pflichtteil in der Patchworkfamilie
Wenn wir unser Beispiel weiterspielen, dann merken wir, dass der Pflichtteil gerade in der Patchworkfamilie eine große Rolle spielt. Wir gehen davon aus, dass Marie und Tim ihren Pflichtteil nicht geltend gemacht haben. Neele stirbt. In ihrem Nachlass befinden sich immer noch 600.000,00€. Die drei Kinder werden nach dem Testament von Olaf und Neele jeweils zu 1/3 Erben. Sie erhalten also alle wertmäßig 200.000,00€. Doch Moment! Hier müssen wir einen Blick auf den Pflichtteil von Lena werfen – und das obwohl Lena als Erbin eingesetzt ist. Wie kommt das? Wir betrachten wieder die gesetzliche Erbfolge: Lena wäre als einziges Kind die gesetzliche Alleinerbin ihrer Mutter gewesen. Die Stiefkinder werden bei der gesetzlichen Erbfolge nicht berücksichtigt. Lena Pflichtteil beträgt die Hälfte, also ½ des Nachlasses. Wertmäßig macht das 300.000,00€ und damit mehr als ihren tatsächlich zugewandten Erbteil aus. Durch eine Erbeinsetzung darf das Pflichtteilsrecht aber nicht umgangen werden. Deswegen gibt das Gesetz Lena einen Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen dem Pflichtteilsanspruch und ihrem Erbteil an die Hand. Lena kann also gegen ihre Stiefgeschwister einen Anspruch auf Zahlung von 100.000,00€ geltend machen. Im Endergebnis werden die Kinder also nicht gleichbehandelt, stattdessen erhält Lena die Hälfte und Marie und Tim jeweils nur noch ein Viertel des Wertes vom Nachlass. Das hatten sich Olaf und Neele anders vorgestellt…
An unserem kleinen Beispielsfall können Sie sehen, wie viel bei der Errichtung des eigenen Testaments schiefgehen kann. Vermeintlich eindeutige Regelungen bescheren juristisch unvorhergesehene Probleme. Die Beratung durch einen Anwalt oder einen Notar hilft Ihnen dabei, die Konsequenzen Ihrer letztwilligen Verfügung zu verstehen und nach Ihren Vorstellungen anzupassen.
Das im Blogbeitrag beschriebene Thema bewegt Sie? Sie denken über die eigene Nachfolgeplanung nach oder es ist ein Erbfall eingetreten? Wir beraten Sie gern - melden Sie sich jetzt und vereinbaren einen Termin für die Erstberatung!
Montag bis 08:00 - 13:00 Uhr
Donnerstag 14:00 - 18:00 Uhr
Freitag 08:00 - 14:00 Uhr
und nach Vereinbarung